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Rolle der Gewalt

   

Die Rolle der Gewalt in der thailändischen Politik

Am 10. November 2001 fand im Internationalen Zentrum „Die Brücke” in Münster der zweite Kulturabend der münsterschen „Thai-Deutschen Gruppe” statt. Die Organisation wurde vom Thailändischen Studentenverein in Deutschland (TSVD) in Zusammenarbeit mit dem Stützpunkt Münster der DTG übernommen. Die finanzielle Unterstützung erfolgte durch den Bundesvorstand der DTG sowie durch den Thailändischen Verein Berlin e.V. und ihre Vorsitzende Sangchan Fraedrich, ihnen sei an dieser Stelle gedankt. Die Veranstaltung stand unter unter einem ganz besonderen Thema: Am 6. Oktober 2001 war der tragischen Geschehnisse von vor 25 Jahren an der Thammasat Universität in Bangkok zu gedenken. Damals hatte thailändisches Militär und Paramilitär auf friedlich demonstrierende Studenten geschossen. Die tragischen Ereignisse hatten tiefgreifende Auswirkungen; sie sollten das Ende einer seit 1932 vom Militär dominierten politischen Kultur Thailands einläuten.
Einer der studentischen Aktivisten von damals, Augenzeuge und Opfer der Ereignisse, war Thongchai Winichakul. Heute lehrt er als Professor für südostasiatische Geschichte an der Universität von Wisconsin-Madison (USA) und zählt zu den bedeutendsten kritischen Historikern der jüngeren Generation. Professor Thongchai, der zwischen dem 6. und 8. November 2001 an den Universitäten Münster und Hamburg auch mehrere hochinteressante Vorträge zur modernen thailändischen Geschichte gehalten hatte, spezifizierte sein Vortragsthema wie folgt: „Die Rolle der Gewalt in der thailändischen Politik: Lehren aus dem 6. Oktober 1976”.
Die Moderation des Nachmittags und Abends wurde von Parinya Thaewanarumitkul (Göttingen), dem Präsidenten des Thailändischen Studentenvereins, übernommen. Auch die kompetente Übersetzung des Vortrages und der Diskussionsbeiträge wurde von zwei jungen thailändischen Studierenden (Jarawadee Keawwan und Tinya Wolweber) mit Bravour gemeistert. Insgesamt waren mehr 40 Thai-Studenten aus dem ganzen Bundesgebiet angereist. Die Grußworte von DTG-Schatzmeister Karl Weber übermittelte Franz Hartje vom Stützpunkt Münster. Prof. Dr. Volker Grabowsky sowie Patthama Lamskemper (verantwortlich für das kulturelle Rahmenprogramm) begrüßten die mehr als 130 Gäste von Nah und Fern.
Professor Thongchais Vortrag wurden Videoausschnitte vorangestellt. Sie dokumentierten den Ablauf der dramatischen Ereignisse vom 14. Oktober 1973, als vom Volk unterstützte Studentenunruhen ein verhasstes Diktatoren-Trio zum Teufel jagte, und vom 6. Oktober 1976, als das Militär Proteste von Studenten gegen die Rückkehr eines der drei Ex-Diktatoren zum Anlass nahm, das drei Jahre währende demokratische Experiment gewaltsam zu beenden. Anders als 1973 war 1976 die thailändische Öffentlichkeit jedoch sehr stark in eine "rechtes" und ein "linkes" Lager polarisiert. Die redaktionell überarbeitete deutsche Übersetzung des Vortrages und der anschließenden lebhaften Diskussion mag den Lesern einen Eindruck der tiefen Betroffenheit unter den meisten Zuhörern vermitteln.
Abschließend gilt unser herzlicher Dank auch den Thai-Musikanten aus Baden-Württemberg, der TSVD-"Trommlergruppe", allen anderen aus ganz Deutschland angereisten thailändischen Studierenden, sowie der münsterschen "Hausfrauen-Gruppe" für ihre aktive Unterstützung bei vielfältigen musikalischen, tänzerischen und kulinarischen Einlagen.

 

           
   
Gewalt in der thailändischen Politik
Lehren aus dem Ereignis vom 6. Oktober 1976

Dokumentation des Vortrages von Prof. Dr. Thongchai Winichakul anläßlich der Zweiten Thailändischen Kulturveranstaltung in Münster am10. November 2001

Eigentlich bildet dieser Ort nicht den geeigneten Rahmen, um über dieses Thema zu sprechen, und ich bin auch nicht immer in der Verfassung, darüber sprechen zu können. Dieses Lied "Ihr seid das Opfer", welches wir soeben dargeboten bekamen, habe ich schon seit zwanzig Jahren nicht mehr gehört.


Am 14. Oktober 2001 hat der Ministerpräsident anläßlich der Enthüllung des Denkmals zu Ehren der Opfer des 14. Oktober [1976] in seiner Rede die Meinung vertreten, daß über die vergangenen Ereignisse nicht länger gesprochen werden sollte. Vielmehr sollte man sich den gegenwärtigen Problemen und den Menschen zuwenden, die von Armut betroffen sind und nicht nur diejenigen Personen im Blick haben, die damals sterben mußten oder verletzt worden sind.


In den vergangenen 25 Jahren bemühten sich die Machthaber in Thailand immer wieder darum, ein Ende des Diskurses über die beiden Vorgänge in den siebziger Jahren herbeizuführen, stets mit dem Vorwand, man sollte keine Haarspalterei betreiben. Die Mehrheit der Thai stimmt diesen Forderungen insgeheim zu. Sie ist der Meinung, daß diese Tragödien, insbesondere die vom 6. Oktober, allmählich und unspektakulär aus dem Bewußtsein der ganzen Nation verschwinden sollte.


Wer über die Ereignisse gelesen oder die Videos soeben gesehen hat, wird verstehen, daß diese Ereignisse ein komplexes Thema darstellen. Es ist schwierig, die Geschehnisse von damals einfach zu vergessen oder zu verdrängen. Einige meiner Freunde, die heute zum Teil in Ministerien tätig sind, bringen in ihren Veröffentlichungen zum Ausdruck, daß sie die Ereignisse aber weder vergessen können noch sich daran erinnern möchten.


Ich werde hier eine Zusammenfassung der Ereignisse geben, ohne dabei zu sehr in die Details zu gehen. Danach wird es Gelegenheit geben, für diejenigen, die an den Einzelheiten interessiert sind, genauer nachzufragen. Am Ende steht meine ganz persönliche Meinung über das Geschehen und darüber, was es für die thailändische Gesellschaft bedeutet, welche Lehren man daraus ziehen kann.


Was passierte am 6. Oktober 1976? Das Militär als Instrument des Staates befürchtete einen linken Aufstand durch Studenten, welcher die Institution des Staates, sprich Nation, Religion und Monarchie gefährden könnte. Das Militär versuchte, durch Medienkampagnen die breite Bevölkerung davon zu überzeugen, daß es sich bei den Studenten um Feinde der Nation, oder, wie es im damaligen Jargon hieß, um Dämonen handelte. Damit zeigte sich das Militär in der Lage, Teile der Bevölkerung zu unmenschlichem Handeln zu mobilisieren. Ich bezeichne dies als Staatskriminalität, zumal nicht nur die staatlichen Machtorgane wie Armee und Polizei eingebunden wurden, sondern auch Paramilitärs und Teile der Bevölkerung. Darüber hinaus Mächte und Einflüsse, die außerhalb des Staates stehen.


Eine wichtige Komponente des Konfliktes waren die drei Diktatoren Thanom [Kittikachorn], Prabhas [Charusathian] und Narong [Kittikachorn], welche in den Folgen des Ereignisses vom 14. Oktober 1973 des Landes verwiesen worden waren. Seitdem spaltete ein Konflikt die Gesellschaft, vor allem die Studierenden und die Machthaber, über die Rückkehr von Thanom nach Thailand. Dann geschah etwas Unglaubliches, die Studierenden wurden durch eine Inszenierung beschuldigt, die Majestät des Kronprinzen zu beleidigen. Das sollte der Beweis für das Vorhaben der Studenten sein, die drei Säulen des Staates zu erschüttern.


In der Nacht vom 5. zum 6. Oktober umstellten Polizisten den Campus der Thammasat-Universität und machten Gebrauch von ihren Schußwaffen. Dieses für mich unverständliche, unbegreiflich harte Vorgehen, führte dazu, daß die Menschen, die an diesem Tag ihr Leben opferten, auf unzivilisierte Weise sterben mußten. Die Bilder zeigten Opfer, die hinausgezerrt, erschlagen, erhängt oder aufgeschlitzt, deren Körper zusätzlich mit Stühlen traktiert oder ihr Mund mit Schuhen gestopft worden waren. Eine oder zwei Frauen wurden mitten auf dem Sanam Luang (dem großen Feld vor dem Königspalast) in Bangkok entkleidet. Was weiter mit ihnen geschah, weiß ich nicht, sie wurden jedoch nicht wieder gesehen. Vier Personen wurden, nachdem sie bewußtlos waren, aufeinandergestapelt, mit Autoreifen bedeckt und angezündet. Ein Freund, der zuletzt noch die Leute aus dem Gebäude heraustrieb, um sicherzustellen, daß niemand zurückblieb, wenn die Soldaten das Gelände erstürmten, schaffte es selbst nicht mehr, rechtzeitig zu fliehen. Er bekam ein Tuch um den Hals gebunden und wurde zu Boden gezerrt und geschleift. Die genannten Fälle mögen als Beispiele für die unmenschliche Grausamkeit genügen.


Anschließend wurden drei- bis viertausend Studenten verhaftet. Angeblich, weil er fliehen wollte, wurde ein Student hinterrücks erschossen. Ich selbst trat in dieser Nacht an das Mikrofon und sprach anfangs Durchhalteparolen und rief zum Sturz der Diktatoren auf. Gegen Morgen allerdings versuchte ich, auf die Polizisten einzureden und sie von der Gewalt abzuhalten. Dann wurde ich verhaftet, später vor Gericht gestellt und zwei Jahre lang inhaftiert.
Offiziellen Angaben nach hat es am 6. Oktober 1976 46 Tote gegeben, eine Zahl, die relativ niedrig erscheint im Vergleich zu den Opfern von 1973 oder auch später, 1992. Aber die Art und Weise, wie die Leute umgebracht wurden, war um ein vielfaches brutaler und hinterließ in den Herzen vieler eine Wunde, die bis jetzt immer noch nicht geheilt ist. Dazu gezählt werden müssen fünftausend weitere Opfer, die, die selbst verletzt wurden, und die Angehörigen der Toten, Verhaftete und Angeklagte, Menschen, die ihre Positionen verloren haben wie Professor Dr. Puey Ungphakorn, der seinen Posten als Rektor der Thammasat-Universität aufgeben und fliehen mußte, bei seiner Flucht von der Polizei aufgegriffen und ins Gesicht geschlagen wurde. Fast die gesamte Generation, die bei diesen Ereignissen dabei war, kann das Geschehen nicht vergessen. Dennoch ist eine Stille eingetreten, die die Ereignisse unaufgearbeitet hinterließ.


Zwanzig Jahre später werden diejenigen, die versuchen, an das Ereignis zu erinnern, verdammt, beschimpft und aufgefordert, die thailändische Gesellschaft nicht zu spalten.


Solange die thailändische Gesellschaft nicht darüber zu diskutieren vermag, wie es zu diesen Geschehnissen kommen konnte, kann sie auch nicht verhindern, daß so etwas wieder passiert. Denn die thailändische Gesellschaft ist genau so wenig wie andere Gesellschaften vor extremen Taten sicher. Und man darf nicht glauben, daß sie durch und durch eine friedliche Gesellschaft ist, wie man es immer wieder suggeriert und den Kindern in Schulbüchern beibringen möchte. Zwanzig Jahre lang wurden diejenigen, die den Ereignissen entfliehen konnten, alleine gelassen mit ihren Erinnerungen. Wie Professor Puey sind sie alleine gelassen mit den schlechten Erfahrungen. Sie sind geschädigt und nicht mehr in der Lage, darüber zu reden, diese Ereignisse zu reflektieren. Und wie es bei Professor Puey der Fall war, nehmen sie diesen Schaden mit in den Tod. Mehrere Tausend Studenten fühlen sich wie Sieger, die man anschließend hinterrücks überfiel. Sie haben Angst, daß sie mit ihren Erfahrungen nicht akzeptiert werden und sehen sich gezwungen, diese tiefsitzenden Erfahrungen, die die Hälfte ihres Lebens ausmachen, zu verdrängen. Versuchen sie sich einmal vorzustellen, sie müßten eine Hälfte ihres Lebens verdrängen. Die Mütter und Väter derer, die bei den Ereignissen dabei waren, wollen nicht darüber reden, wollen nicht als deren Eltern erkannt und verurteilt werden. Die dadurch entstandene Verletzung ist nicht geheilt, die thailändische Gesellschaft ist nicht in der Lage, sie zu heilen, weil sie vergessen machen möchte.


Nach zwanzig Jahren wurde zum ersten Mal 1996 verstärkt über die Vorfälle des 6. Oktober gesprochen, wenngleich auch nicht über alle erschütternden Einzelheiten. Die Grundaussage des Diskurses von 1996 ist, daß es keine Rolle mehr spielt, ob die Gruppen kommunistisch waren oder nicht, der Staat hatte dennoch nicht das Recht zu töten. Der [heutige] thailändische Premierminister sagte in seiner Rede, daß man nun an einem Punkt angekommen sei, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Der 14. Oktober [1973] stelle einen Sieg dar über Diktatur und Tyrannei, doch am 6. Oktober [1976] hätten alle verloren. Somit faßte er beide Oktober-Ereignisse zusammen, um nun die Forderung zu erheben, jetzt darüber zu schweigen.


Jetzt kommen wir zu dem, was diese Ereignisse über die Gesellschaft reflektieren. Erstens: Die radikale Forderung, man solle die Sache auf sich beruhen lassen, zeigt, daß die thailändische Gesellschaft nicht in der Lage ist, mit Konflikten umzugehen. Es gibt in der thailändischen Gesellschaft keine Erfahrung, keine Bewegung, keine Bedingung, keine Kultur, wie man damit umgehen kann. Es werden zu viele Hoffnungen auf den König gesetzt. Aber er kann nicht immer helfen. Er konnte auch nicht im Falle des 6. Oktobers helfen. Und man sollte sich darüber im Klaren sein, daß er nicht ewig da sein wird, um dem thailändischen Volk aus Krisen heraus zu helfen.


Zweitens: Radikalität ist immer schon ein Bestandteil der thailändischen Gesellschaft gewesen, aber es wurde nie darüber gesprochen, in den Schulbüchern steht nichts darüber. Ständig wird dem Volk eingeredet, daß Thailand eine friedliebende und konfliktfreie Nation sei.


In Thailand hat es schon immer Machtkämpfe gegeben, wo es um Interessen und Einfluß ging. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Thailand nicht von anderen Nationen. Die Führung benutzt ihre Macht, um das Volk zu bestrafen und zu tyrannisieren, auch dies wie andere Länder auch. Es gibt noch viele andere Vorfälle und Ereignisse, wo noch mehr geschrieben wird, als über den 6. Oktober. Es gibt zwei Fälle von Morden an Studentenführer, Führer von Farmer- und Arbeiterbewegungen, von 50-60 Personen, deren Aufklärung bis heute noch nicht geschehen ist, wo die Verantwortlichen bis heute nicht zu Rechenschaft gezogen wurden. Es gibt ein weiteres Ereignis im Juli 1974, ein Verkehrsvorfall in Bangkok, wo es zu einem Streit zwischen einem Polizisten und einem Taxifahrer kam.
Dieser Streit führte zu einem Progrom an 70 Personen chinesischer Abstammung in Yaowarat und Phlapphlachai. Es hieß offiziell, die Polizei habe eine Razzia gegen eine Verbrecher-Organisation unternommen, doch bisher ist nicht geklärt, was dabei wirklich geschehen ist. Selbst unter den Studierenden, die die Gewalt des Staates kritisch beobachten, haben sich nicht mehr weiter mit diesem Vorfall befaßt. Dabei ist dieses Ereignis keineswegs ein Geheimnis, jeder, der die Archive der Zeitungen durchsieht, wird die Berichte darüber finden.


Es gibt noch andere Formen der Gewalt innerhalb der thailändischen Gesellschaft, die teilweise den Strukturen inhärent sind. Dabei geht es in den meisten Fällen um Unterschiede an Macht, an Einfluß oder Vermögen, Bewohnern der Ebene und den Bergvölkern, auch zwischen Einheimischen und Zuwanderern.


Es ist in der thailändischen Gesellschaft oft üblich, absolut mit so einem Konflikt umzugehen. Das heißt, knallhart durchzugreifen. Als Beispiel dafür lese ich aus einem Text vor: Die Mehrheit der thailändischen Bevölkerung bewundert heute noch den früheren Premier und Diktator Sarit Thanarat (1958-1963), weil dieser für sein hartes Durchgreifen bekannt war. Es war bei der Polizei üblich, Lynchjustiz auszuüben, daß kriminelle Vergehen nicht zur gerichtlichen Aufklärung und Verurteilung gelangten, sondern die Polizei selbst als Vollstrecker agierte. Viele in der thailändischen Bevölkerung befürworten dieses Vorgehen. Vor nicht allzu langer Zeit (Januar 2000) machte eine Krankenhausbesetzung durch birmanische Rebellen vom Stamm der Karen in der Provinz Ratchaburi Schlagzeilen. Nachdem die Polizei das Krankenhaus gestürmt hatte, wurden nur die Leichen der [getöteten] Rebellen präsentiert. Eine Chance auf eine Aufklärung durch die Gerichte gab es nicht.


Es war gut, daß manche gegen dieses Vorgehen protestierten, doch leider zeigte sich die Mehrheit der Thailänder mit dem Vorgehen der Polizei einverstanden. Es handelte sich doch um Menschen aus Birma, also um Ausländer, die den thailändischen Staat unter Druck setzen wollten.


Es gibt noch zwei weitere Beispiele. Eines davon geht um das Verhalten des Sohnes [des thailändischen Politikers] Chaloem Yubamrung, der in Schlägereien verwickelt war. In einem thailändischen Webboard wurde die Meinung vertreten, daß man den einfach umlegen sollte. Das zeigt, wie diese Gewalt in den Köpfen der Leute steckt. Daß in der thailändischen Gesellschaft Macht populär ist, ist eine alte Geschichte. Dennoch wird leicht übersehen, daß das alte Prinzip amnat, das "Macht" bedeutet, gleichgesetzt wird mit Gerechtigkeit, dem dharma. Wer Macht hat, verfüge auch über das Recht.


Trotz der Tatsache, daß sich die thailändische Gesellschaft im Laufe der Zeit gewandelt hat, bestehen diese Bezüge weiterhin. Das Konzept amnat wird mit dem dharma, dem Guten, dem Gerechten, verknüpft; und erst im nachhinein sieht man gegebenenfalls ein, daß diese Leute ihre Macht falsch einsetzen. Dabei bedeutet amnat doch eher das Gegenteil von Gerechtigkeit.


Es gibt in der thailändischen Gesellschaft einen großen Haß auf korrupte Politiker. Doch man träumt davon, daß irgendwann einmal ein starker, mit Macht (amnat) ausgestatteter Mann mit dem politischen Unwesen aufräumt. Wenn wir dem 6. Oktober wirklich auf den Grund gehen wollen, müssen wir feststellen, daß niemand saubere Westen trägt. Ferner ist die thailändische Gesellschaft an die Indoktrination gewöhnt, sie bilde eine Einheit. Die Einheit des Landes ist jedoch erst etwa einhundert Jahre alt, wird aber heruntergebetet wie ein Mantra. Konflikte werden verschwiegen und auf eine unverantwortliche Weise beiseite geschoben, was letztendlich einem Selbstbetrug gleichkommt. Die letzte Konsequenz, die Opfer des 6. Oktober und ihre Angehörigen alleine zu lassen, ist menschenverachtend. Und daß Thaksin (der heutige Premierminister) meint, diese bildeten nur eine kleine Minderheit, ist blanker Zynismus; denn meistens sind ja Minderheiten die Opfer. Selbst am 14. Oktober war es doch lediglich eine Minderheit, die auf die Straße ging. Und Prabhas Charusathian, einer der drei Tyrannen jener Jahre, meinte in der Rückschau, man müsse "die Sache mit den zwei bis drei Prozent der Studenten regeln". Regeln heißt, wie wir gehört haben, eliminieren. Das beweist, daß die thailändische Gesellschaft es nicht gelernt hat, mit anders Denkenden umzugehen. Sie hat bislang nicht gelernt, Geschichte aufzuarbeiten und daraus Lehren zu ziehen. Sie hat ferner nicht gelernt, die Schicksale Einzelner als Schicksale der Nation zu sehen und daraus Kraft zu schöpfen.


Abschließend möchte ich mich dafür entschuldigen, daß ich als Botschafter schlechter Nachrichten hier war. Die Konflikte in der thailändischen Gesellschaft bestehen auch heute noch fort, sei es in Form von Konflikten um natürliche Ressourcen; radikale Gewaltausbrüche flackern immer wieder auf. Ohne die Ereignisse vom 6. Oktober aufzuarbeiten, sich damit auseinander zu setzen, kann ein erneuter Vorfall dieser Art jederzeit erneut auftreten. Das Wichtigste ist, daß wir lernen, uns nicht selbst zu belügen, daß wir erkennen, daß jeder Mensch auch das Böse in sich trägt und dabei gleichzeitig lernen, das Böse nicht ausbrechen zu lassen.

 

 
 

Der Vortrag

Die komplette Rede in thailändischer Sprache steht als MP3-Datei zum Download zur Verfügung. (5,6 MByte).

Eine zweite Version incl. deutscher Übersetzung gibt es ebenfalls (14,7 MByte)

   
   

F: Welche Hoffnungen geben Sie den hier anwesenden jungen Thai?

A: In meiner Generation gibt es viele, die sehr pessimistisch bezüglich der heutigen Generation der Jugend und Studenten sind. Sie glauben, daß die heutige Jugend nur ihren Spaß haben möchte und sich für ihre Computer interessieren, während sie dem politischen Geschehen eher Desinteresse entgegen bringen. Ich persönlich bin da anderer Auffassung. Ich glaube, daß jede Generation die Chance und das Potential hat, auftretende Probleme zu lösen.

 

F: Wie haben damals der König und die Oberen der Buddhisten, denen der meiste Respekt entgegen gebracht wird, zu den Ereignissen Stellung in den Medien bezogen?

A: Von den 200 Radiostationen, die es in der Zeit gab, waren nur zehn frei in der Berichterstattung, die restlichen wurden durch das Militär zensiert. Fernsehen sollte seinem Auftrag nach unpolitisch sein. Zum Ereignis am 6. Oktober 1976 ist ein einziger Sender, Kanal 9, vor Ort gegangen und hat das Geschehen dokumentiert. Sein Intendant wurde sofort entlassen. Was die Führer der Buddhisten angeht, war es doch so, daß der ehemalige Diktator Thanom, der seine Zeremonie noch nicht abgeschlossen hatte, als er 1973 das Land verlassen mußte, zurückkam und direkt vom Flughafen in das Wat Bowonniwet verbracht wurde, um dort seine Zeremonie zu Ende zu bringen. Wat Bowonniwet gilt als Wat (Tempel) der königlichen Familie, und der damalige Abt des Wat ist der heutige Sangkharat, der Oberste Patriarch des buddhistischen Mönchsordens (sangha). Ziehen sie selbst die Schlußfolgerung aus dieser Tatsache!

 

F: Wie sollte man Ihrer Auffassung nach die Erinnerung organisieren, welche Medien des Gedenkens und Erinnerns schlagen Sie vor?

A: Wir können eine Menge tun. Auf einer breiten sozialen Ebene haben wir seit 1996 ein Monument des Gedenkens, das einen Durchbruch im Verarbeiten der Geschehnisse darstellt. Wir sprechen über die Dinge ohne allerdings zu sagen, wo die Verantwortlichkeiten liegen. Teilweise wissen wir es nicht, teilweise können wir nicht darüber sprechen, weil die Geschehnisse unaussprechbar sind. Wir dürfen darüber sprechen, aber wir sollen es nicht. Beispielsweise sollten Sie eine Frage wie die Ihre nicht in der Öffentlichkeit Thailands stellen. Auf der anderen Seite haben wir einen Anfang gemacht und die Aktionen der letzten vier bis fünf Jahre, so unterschiedlich sie auch beurteilt werden können, zeigen, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Menschen meiner Generation sehen darin insgeheim, daß sich die thailändische Gesellschaft ändert. Sie ist jetzt offen genug, um auf unterschiedlichen Ebenen das Geschehen aufzuarbeiten. So haben wir das Monument zum Gedenken an den Oktober 1973, das verhindert, daß wir vergessen. Wir haben das Monument zum Gedenken an den Oktober 1976 auf dem Gelände der Thammasat-Universität, auch wenn es derzeit keine Möglichkeit gibt, ein solches Monument außerhalb Thammasat zu haben. Die Universität erklärte sich bereit, uns einen Platz für ein solches Monument zu geben, und wir haben uns gesagt, wir machen es so groß, daß man es einfach nicht übersehen kann.

 

F: Was wird Ihrer Meinung nach passieren, wenn der König, der durch seine starke Persönlichkeit das ganze Staatsgebilde doch einigermaßen zusammen hält, nicht mehr da sein wird?

A: Darüber möchte ich nicht spekulieren. Aber ich bin optimistisch und glaube, daß jede Gesellschaft in der Lage ist, auf anstehende Probleme zu reagieren. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß sie akzeptiert, daß sie nur eine normale Gesellschaft ist mit internen Konflikten und Auseinandersetzungen, guten und schlechten Seiten, und daß sie lernt, aus eigener Kraft damit fertig zu werden. Und statt alle Hoffnungen auf eine einzelne Person, einen neuen, einen starken König zu setzen, sollte ein jeder sich darüber im Klaren sein, daß er damit nur seine eigene Verantwortung auf einen anderen abschiebt.

 

F: Wie konnte es bei den Bürgermeister-Wahlen (23. Juli 2000) in Bangkok dazu kommen, daß mit Samak Sundaravej ein Mann zum Gouverneur gewählt wurde, der beschuldigt wird, bei den Geschehnissen des 6. Oktober für die Massenhetze gegen die Studenten verantwortlich gewesen zu sein? Welche Rolle hat er wirklich gespielt?

A: Mit Sicherheit kann ich sagen, daß Gouverneur Samak nicht bei dem Massaker am 6. Oktober dabei war. Aber es ist so, daß er zum ultra-rechten Flügel gehörte und die Studenten förmlich haßte. Er war auch bei denjenigen, die nach dem 6. Oktober die Studenten verfolgten und die die Geschehnisse falsch darzustellen versuchten. Durch seine Haßkampagnen hat er mit dazu beigetragen, Dr. Puey aus dem Land zu vertreiben. Im Vorfeld der Wahlen kam es nach einem Aufbegehren und Unmut hinsichtlich dieser Rolle zu Diskussionen, die letztendlich mit der Frage, was denn diese 25 Jahre zurückliegenden Geschehnisse überhaupt mit der Kandidatur zum Gouverneur von Bangkok zu tun hätten, zum Verstummen gebracht worden sind.

 

F: Woran liegt es, daß es in den letzten Jahren so ruhig geworden ist um die Thammasat-Universität?

A: Jede Generation hat ihre eigenen Wesenszüge. Den jetzigen Studenten vorzuwerfen, nicht mehr politisch aktiv zu sein, wäre falsch. Es gibt sowohl negative wie auch positive Aspekte, so daß ich überhaupt keine Probleme damit habe, daß es zur Zeit keine Studentenbewegung gibt.

 

 
 

Diskussion

Auch die Diskussion kann incl. der deutschen Übersetzung als MP3 geladen werden (5,4 MByte).

   
                 


Letzte Aktualisierung dieser Seite: 13.12.2001